Speed-Dating

„Was machen Sie denn beruflich?“

„Sklaventreiberin, Köchin, Dompteurin – suchen Sie sich was aus.“ Ich setzte mein strahlendstes Lächeln auf.

„Ähm...?“ Mein Gegenüber kratzte sich die Glatze. Fast rechnete ich damit, ein quietschendes Geräusch zu hören, wie es beim Polieren glatter Flächen entstand. 

„Ich bin Mutter“, spezifizierte ich und dimmte mein Lächeln um einige Nuancen. Kein Humor, notierte ich auf meiner mentalen Checkliste. 

„Alleinerziehend“, setzte ich hinterher. Nicht, dass er den Eindruck bekam, ich sei auf der Suche nach einer Affäre. Glatzkopfs Gesichtszüge erlitten einen akuten Schwächeanfall. 

„Oh - okay.“ Wenig unauffällig schielte er auf seine Uhr. „Und was...äh...machen Sie so in Ihrer Freizeit?“

„...Freizeit?“ Jetzt kratzte ich meine roten Locken. Ob Schlafen als Freizeitbeschäftigung durchging? Oder Online-Shopping?

 

GONG. „Liebe Männer, bitte rutschen Sie einen Platz auf.“

 

„Na, dann alles Gute“, sagte Glatzkopf und war so schnell aufgesprungen, dass ich mich nicht gewundert hätte, ihn an zwei Stellen gleichzeitig zu sehen. Ein neues Gesicht tauchte vor mir auf und ich machte eine kurze Bestandsaufnahme: Anzugträger – Brille – volle Haarpracht – etwa 45 Jahre alt – verkniffen-arrogantes Lächeln. Banker, tippte ich.

 

„Hallo, ich bin Gregor.“

„Hallo Gregor, ich bin Marie.“

Es entstand eine kurze Pause, dann beschloss er, die Gesprächsführung zu übernehmen.

„Und was machen Sie so, Marie?“ 

„Clever – eine offene Frage. Kann man beruflich oder privat beantworten. Das sollte ich mir merken.“ Als mir klar wurde, dass ich das laut gesagt hatte, passte sich meine Gesichtsfarbe der meiner Lockenpracht an. Da half nur eins: Humor.

„Ich bringe mich mit Vorliebe in Verlegenheit und mache ansonsten gerne Sport – Fettnäpfchen-Slalom und Power-Spinnen sind meine Hauptdisziplinen. Außerdem versuche ich mein inneres Chamäleon zu kultivieren und den spontanen Farbwechsel von Weiß nach Rot zu perfektionieren. Hin und wieder schaffe ich es auch ins Grüne oder Aschfahle, aber das macht weniger Spaß. Und was machen Sie so?“

Gregor zog irritiert die Augenbrauen hoch. „Ich...ich bin Banker.“

Ha, dachte ich, sagte aber: „Das passt zu Ihnen.“ 

„Ja?" Er lächelte geschmeichelt. „Ich bin gerade befördert worden und spiele in meiner Freizeit Golf.“

„Wie lustig –  ich fahre Golf. Aber das meist während meiner Arbeitszeit.“ 

„Sie arbeiten im Vertrieb?“ Gregor rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.

„Nein, ich bin Gelegenheits-Chauffeurin. Obwohl ich durchaus Produkte transportiere – die einer verwelkten Liebe...“

 

 GONG. „Liebe Männer, bitte rutschen Sie einen Platz auf.“

 

Gregor verabschiedete sich nicht einmal von mir. Okay – neuer Mann, neues Spiel. Cordhosen, Sakko und Baumwollhemd schoben sich in mein Blickfeld.

 

„Guten Abend, ich bin Rainer.“ 

„Marie.“

„Wie geht es Ihnen, Marie?“ Rainer strich sich eine Strähne seines schwarzen Haares aus der Stirn.

„Mit jedem Tropfen Weißwein ein bisschen besser.“ Ich prostete ihm zu und nahm einen beherzten Schluck.

„Sehr schön. Und womit verdienen Sie das Geld für den Wein?“ Rainer strich sich erneut eine Strähne seines Haares aus der Stirn.

Mit Schweiß, Blut und jeder Menge Nerven, lag mir auf der Zunge – aber ich beschloss, eine neue Taktik auszuprobieren. „Ich leite ein kleines Familienunternehmen.“ Ich lächelte und versuchte, möglichst seriös zu wirken.

„Wirklich? Sehr schön. Und in welchem Bereich ist das Unternehmen angesiedelt?“ Rainer strich sich eine Strähne seines Haares aus der Stirn. 

Nervöser Haar-Tick, notierte ich mental.

„Schwerpunktmäßig Lebenscoaching, aber auch Krisenintervention, Zukunftsentwicklung und Überlebensstrategien.“

„Sehr schön. Ein sozilogisches Forschungsinstitut?“ 

„Ja, sowas in der Art.“ Ich trank gleich zwei Schlucke Wein und signalisierte dem Kellner, mir einen weiteren zu bringen.

„Wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie?“ Rainer strich sich eine Strähne seines Haares aus der Stirn.

Sehr irritierender, nerv-tötender Haar-Tick, ergänzte ich meine geistige Notiz.

„Sieben, wenn man den Wellensittich und die beiden Katzen mitzählt. Es waren mal acht, aber ein Mitarbeiter ist abtrünnig geworden und hat mit einer jüngeren Bewerberin ein neues Unternehmen gegründet. Er ist jetzt nur noch Finanzier.“ 

„Sehr schön.“ Rainer strich sich eine Strähne seines Haares aus der Stirn. 

„Nein, nicht sehr schön. Sehr unschön, um ehrlich zu sein. Naja... Was machen Sie denn beruflich?“

„Ich bin Sachbearbeiter bei einer Versicherung.“ 

„Ist das so öde, wie es klingt?“ 

Wo blieb der Gong?

„Das...also naja...“ Rainer strich sich eine Strähne seines Haares aus der Stirn.

 

GONG. „Liebe Männer, bitte rutschen Sie einen Platz auf.“

 

Sehr schön,  Rainer. Einen angenehmen Abend noch.“ Ich strich mir eine Strähne meines Haares aus der Stirn und trank einen großen Schluck Wein. Was machte ich hier eigentlich? Ich hob den Blick, um das nächste Desaster zu begrüßen, und hielt überrascht inne.

 

„Hallo, ich bin David. Und du?“ 

Ich mochte, dass er mich duzte.

„Hallo, ich bin Marie. Ist das deine natürliche Haarfarbe?“

„Sie sind lila.“

„Ist mir aufgefallen.“

David lachte. „Ist dein Rot echt?“

„Von den Haarwurzeln bis zum Spliss.“ 

Er lachte wieder. Es klang wie Rauch und Whiskey.

„Ich mag dein Lachen“, sagte ich und fuhr mein Lächeln wieder ein paar Grad hoch.

„Danke.“ Er zwinkerte mir zu.

„Was war das Interessanteste, das du heute Abend bisher gehört hast, David?“ Ich musterte ihn über den Rand meines Glases. Er hatte grüne Augen, ein ebenmäßig geschnittenes Gesicht und einen Dreitagebart. Wenn er lächelte, bildeten sich Grübchen auf seinen Wangen.

„Deine Frage danach, was das Interessante war, das ich heute Abend bisher gehört habe.“ 

„Das ist äußerst bedauerlich.“ Ich versuchte ernst zu bleiben, aber sein Lächeln war ansteckend. „Warum machst du Speed-Dating?“ 

„Ich habe eine Wette verloren. Deswegen übrigens auch die lila Haare. Normalerweise bevorzuge ich Türkis. Passt besser zu meinen Augen.“ Er wackelte mit den Brauen und lachte Whiskey. „Und warum bist du hier?“

„Aufholbedarf –  ich hatte seit 15 Jahren kein Date mehr. Da sind zehn an einem Abend doch ein guter Schnitt. Und so hat man es schneller hinter sich, wenn der Typ –“

 

GONG. „Liebe Männer, bitte rutschen Sie einen Platz auf.“

 

Das waren unmöglich schon fünf Minuten!

„Danke für das bisher interessanteste Gespräch des Abends“, sagte David und stand auf. Er zwinkerte mir noch einmal zu, bevor er zum nächsten Tisch ging. 

 

Ein Wollkragenpulli nahm mir gegenüber Platz.

„Hallo, ich heiße Oliver und bin Gymnasiallehrer.“

„Physik und Mathe?“

„Physik und Mathe.“ Er lächelte beeindruckt. „Woher wissen Sie das?“

„Sie unterrichten die Parallelklasse meines Sohnes.“ 

„Oh – Frau Mertens?“

„Marie, wir sind ja privat hier.“ Ich lächelte müde. 

„Oh, das ist aber eine absonderliche Situation, Frau Mert- ich meine, Marie, oder?“ Er trommelte nervös mit den Fingern auf den Tisch. „Wie ich von meinem Kollegen höre, macht sich Julian ganz hervorragend in Mathe.“ 

Ich griff nach meiner Handtasche und fischte mein Portemonnaie heraus. „Das freut mich. Sie bleiben heute Abend allerdings sitzen. Immerhin verlieren Sie kein ganzes Jahr, sondern nur viereinhalb Minuten.“ Bevor Oliver etwas erwidern konnte, stand ich auf und suchte den Kellner, um meine Rechnung zu begleichen.

 

Als ich in die kühle Abendluft hinaustrat, atmete ich erleichtert auf. Speed-Dating war ganz schön anstrengend.

„Hey, du hast deinen Schnitt nicht erreicht, Marie. Du kannst doch nicht einfach gehen“, hörte ich plötzlich Davids Stimme hinter mir. 

„Ich habe immerhin bis zur Halbzeit durchgehalten. Jetzt muss ich mich erstmal zur Manöverkritik zurückziehen.“ Ich zog den Kragen meiner Jacke höher und versteckte mein Lächeln hinter meinem Schal.

„Brauchst du dabei Unterstützung? Ich kenne da ein nettes italienisches Restaurant, nicht weit von hier.“ Er lächelte. „Die setzen auf Slow Food.

Ich musste lachen. „Klingt sehr verlockend, aber wahrscheinlich solltest du lieber wieder reingehen und...“

„...mich weiter langweilen? Wie kaltherzig.“ 

„Du wirst mir danken, wenn du die Fakten kennst: Ich bin alleinerziehende Mutter von drei halbwüchsigen Kindern und nur hier, damit meine Freundinnen mich endlich mit ihrem zurück-aufs-Pferd-Gerede in Ruhe lassen.“ 

Er fixierte mich aus seinen grünen Augen. „Passen sie heute auf deine Kinder auf?“

„Nein, eine Babysitterin.“

„Wie lange hast du sie gebucht?“

„Bis Mitternacht – danach verwandelt sich Cinderella wieder in ein Muttertier.“ 

David lachte und sah auf die Uhr. „Gut, Cinderella. Ich hatte schon befürchtet, du hättest sie pragmatischer Weise nur für ein Stündchen bestellt. Speed-Dating dauert ja nicht so lange.“ Er grinste und rieb seine Hände gegen die Kälte zusammen. „Das lässt uns genügend Zeit für den Italiener, wenn du Lust hast. Oder ist dir nach dem bisherigen Tempo des Abends eher nach einer schnellen Currywurst?“

Ich lachte. „Slow Food klingt himmlisch.“

David hielt mir seinen Arm hin. „Na dann, Cinderella.“